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Blog-Kultur vs. Blog-Kommerz: Was ich schon immer mal sagen wollte

Ein jubelndes Porträt in einer auflagenstarken Lokalzeitung, eine sensibel geschriebene, anrührende Persönlichkeitsskizze, eine, die Eitelkeiten streichelt und macht, dass Freunde anrufen und sagen: „Das ist ja mal ein schöner Artikel über Dich“ – das kann der Anfang einer wunderbaren Geschäftsbeziehung sein. Die gute Kritik zu einer künstlerischen Arbeit, die lobende Erwähnung eines Produkts, einer Messe, eines Sommerfestes, ein Spendenaufruf und eine wohlmeinende Schilderung übler Umstände… das alles kann der Anfang einer wunderbaren Geschäftsbeziehung sein.

Medienmacher wissen um ihre Macht. Sie wissen genau, dass Anzeigenkunden wie Politgesichter, kurz, dass alle, von denen sie abhängig sind, ihre Eitelkeiten pflegen und ihre Interessen bedient sehen wollen. Wem das gelingt, wer zur rechten Zeit im richtigen Blatt die richtige Nachricht hat, ist vielleicht beim nächsten Mal in erster Reihe, wenn’s richtig Geld gibt an den Nebenkriegsschauplätzen der Verlagsgeschäfte.

Wer aber unbotmäßig sich benimmt, Geschäfte macht, mit der Konkurrenz oder in den Clinch geht mit den Medienmachern, der wird mit Aufmerksamkeitsentzug bestraft. Der taucht nicht mehr in den Veranstaltungskalendern auf und über üble Umstände wird nun ausgiebig und gar nicht wohlmeinend berichtet.

Wo da der Leser, der Zuschauer, der Hörer bleibt? Das ist zweitrangig. Solange der Leser, der Zuschauer, der Hörer glaubt, dass etwas, das über Medien verbreitet wird, auch wahr ist, solange wird er gefüttert werden, mit strategisch bestimmtem Trockenfutter, garniert mit Unterhaltungssalat.

Ja und?

Weblogs? Die waren einmal ganz anders. Der Herzschlag der Autoren gab den Takt und ihre wirre Hirnrinde die Themen vor. Bloggen, das war Herzenssache, geschrieben hat, wer schreiben musste und wild war auf ein Gespräch mit den Lesern danach. Wer sich in den Kommentaren klug zu Wort meldete, wurde ernst genommen und beim Wort, so lernte man sich kennen und aus den Bloggern wurde die Blogosphäre. Blogger waren die Guten, weil sie nichts anderem verpflichtet waren, als ihrer eigenen Denke. Ihr eigener Mut bestimmte, ob sie ein heißes Eisen anpackten und wie. Groß und wichtig sich zu fühlen, verbot die Realität. Und Geld wurde mit anständigen Berufen verdient.

Heute gehören Weblogs in die PowerPoint-Suppe eines jeden Internetmarketingfuzzis. Jeder Internet-Senior-Consultant, jede Werbe-Tussi hat Blogs im Gepäck und virales Marketing ist das Grundrauschen und wie Werbeplätze werden Beiträge gekauft.

Und die Blogger? Sie verkaufen ihre Liebe, ihr über Jahre gehegtes Refugium für einen Appel ohne Ei. Blogger messen ihre Reichweite an Klickzahlen und vernetzen ihre Werbung. Blogger optimieren ihre Texte für den Suchgiganten, ihre Schlagzahl und ihre Themen bestimmt ein gefühltes oder pseudowissenschaftlich ermitteltes Leserinteresse. Krude Theorien aus den Businessplänen der Agenturen werden zum Maßstab und Stammleser werden zu Kapital. Zeit fürs Atem holen – das war gestern.

Und die, die heute vorgeben, an ihre Leser zu denken, denken doch in Wahrheit nur an ihre monetäre Zukunft und verkennen in ihrem Tun, dass sie ihr eigenes Grab schaufeln. Denn ihr Herzblut ist gepanscht und es trauen ihnen nur noch die Leser, die auch schon früher der Meinung waren, dass wahr ist, was über die Medien verbreitet wird. Wieviel Misstrauen haben sie sich so in ihre Blogs geholt. Und was bürden sie ihren Lesern da auf? Den Lesern jedenfalls, die geglaubt haben, sie läsen die Guten.

Natürlich ist es für sie jetzt leicht davon zu schwadronieren, dass das eben die Realität sei und dass die Kritiker Träumer wären und Augenwischer und der Markt die Dinge bestimme. Und das Schlimmste ist: Sie haben Recht. Der Markt hat die Blogosphäre eingeholt und bestimmt bereits einen Teil von ihr. Und dieser Teil wird seine Unschuld nicht wieder erlangen.

Etwas Großartiges ist zu Ende gegangen.

Und nun?

Weblogs bleiben eine tolle Sache. Sie geben denjenigen Öffentlichkeit, die bisher keine hatten. Sie machen die Kreativität von Leuten erlebbar. Sie machen, dass Menschen in Kontakt treten.

„Die Weblogs“ gibt es nicht. Weblogs sind nichts als ausdifferenzierte Minimedien, die, wie alle Medien, der Quellenkritik bedürfen, deren Autoren aber auch nicht eindimensional von der Gier nach Geld getrieben sind. So einfach ist das eben nicht. Und immerhin sind Blogs Minimedien, die über die Kommentare öffentlich hinterfragbar sind, deren Weisheiten nicht einfach in ihrer Suggestivkraft erstrahlend den Leser blenden. Das ist eine Menge. Das begrenzt ihre Macht.

Möglicherweise hilft es, Liebdienerei, Hofberichterstattung und Gier in Grenzen zu halten.

Und ich?

Ich habe als „sandmann“ bei Schwerin Schwerin bisher einen bezahlten Trigami-Beitrag geschrieben. Niemand hat protestiert, dennoch wird es mein letzter dort sein. Ich würde mich freuen, wenn es auch der letzte im Blog bliebe, aber das entscheide ich nicht allein. Ich weiß nur: Ich hab kein gutes Gefühl dabei. (Ohne diesen Text zu kennen haben die Kollegen noch einen trigami-Beitrag veröffentlicht)
Das Werbegeld aus den Google- und Wald- und Wiesenanzeigen – es ist denkbar wenig – legen wir derzeit auf die hohe Kante. Die Werbung für eine CD, an der ich beteiligt bin, hat nicht eine einzige Bestellung gebracht.

Für mich ist Geld also nicht die Motivation. Bei Schwerin Schwerin zu schreiben, ist mir ein Vergnügen. Ich schreibe, weil ich es schlicht gerne tue. Das ist nicht bezahlbar. Und lieber würde ich den Laden dichtmachen, als Schwerin Schwerin schleichend in ein Funktionsblog unter fremder Verlagshoheit zu verwandeln. Aber auch das entscheide ich nicht allein.

Andererseits: Natürlich kann ich mir vorstellen, ein kommerziell ausgerichtetes Blog zu starten. Für das Neue gelten neue Regeln. Aber das wäre ein Job, es gäbe Regeln, zwei Beiträge in der Woche, solide Beiträge, dazu zweimal Faxentexte und Beobachtung der Kommentare. Bedingung: Keine Lügen. Kostet Summe X.

Das wäre etwas anderes…

Und? Fazit?

Ich bin misstrauischer geworden. Ich sehe beim Lesen von Blogs vermehrt in den Texten versteckt Strategien, die auf mehr Traffic, mehr Kommentare, mehr Klicks zielen. Sicher, aus unterschiedlichen Gründen, aber dennoch: Ich fühl mich ein bisschen, wie ein Tokio-Hotel-Fan, dem Bill erklärt, er mache das nur des Geldes wegen und sei eigentlich ein enger Freund der Randfichten.

A N Z E I G E

 

12 Gedanken zu „Blog-Kultur vs. Blog-Kommerz: Was ich schon immer mal sagen wollte

  1. Einerseits gebe ich Dir Recht – wenn es um die Kommerzialisierung der Blogs geht. Nicht weil ich grundsätzlich gegen eine Bezahlung von Autoren bin, sondern weil sich die (guten) deutschsprachigen Blogs noch zu billig verkaufen und weil meiner Ansicht nach die trigami-und-wie-sie-auch-immer-heissen-Idee langfristig nicht funktionieren wird.

    Andererseits widerspreche ich Dir auch: Es gibt nämlich zu viele schlecht geschriebene Blogbeiträge. Da sollte man den Bloggern, die ihre Texte lese(r)freundlich schreiben, nicht auch noch vorwerfen, dass sie damit Traffic und Kommentare bolzen wollen.

  2. „Andererseits widerspreche ich Dir auch: Es gibt nämlich zu viele schlecht geschriebene Blogbeiträge. Da sollte man den Bloggern, die ihre Texte lese(r)freundlich schreiben, nicht auch noch vorwerfen, dass sie damit Traffic und Kommentare bolzen wollen.“

    ACK.
    Anstatt die x-te Kommerzdebatte loszureissen, was wirklich das Letzte ist was man in der dt. Blogwelt braucht, sollte man lieber mal über die fehlende Qualität/Lesefreundlichkeit in vielen, auch großen, dt. Blogs schreiben. Das ist ein viel wichtigerer und weithin unterschätzter Punkt.
    Die geringe Reichweite der deutschen Blogs kommt nämlich nicht (nur) vom pauschalisierenden Blogbashing seitens der deutschen Massenmedien.

    (p.s.: ein solcher Text ausgerechnet bei upload entbehrt nicht einer gewissen Ironie :D)

  3. Natürlich schielen nicht alle Blogger, die leserfreundlich schreiben nur nach Zahlen. Den meisten, das hoffe ich, ist es ein Bedürfnis, so zu arbeiten.

    Dumm nur, wenn hinter all dem Handwerk das Herz auf der Strecke bleibt. Ich mag Blogs gern, die etwas chaotisch sind, deren Texte mir etwas abverlangen, deren Stil den Menschen dahinter spiegelt.

  4. @ marcel weiss

    Meiner Ansicht nach sind viele große deutsche Blogs unter anderem deshalb groß geworden, weil sie einen eigenen Stil pflegen, der nicht zwingend den Leser an die Hand nimmt. Und das ist gut! Dass dabei nicht alle Leser auf ihre Kosten kommen und die Reichweite irgendwann stagniert, ist doch überhaupt kein Problem. Es sei denn, man will Geld verdienen…

  5. eigener Stil ist ja auch gut und richtig. Ich meinte das aber auf mehrere Aspekte bezogen. Ich sprach nicht von seo-gebürsteten Texten oder ähnlichem, was mehr nervt als alles andere. Solche Blogs lese ich dann auch nicht.
    Alles auszuführen, würde jetzt zu weit führen, aber ein Aspekt ist zB, dass viel zu oft davon ausgegangen wird, dass die Leser ibzehn andere Blogs lesen, und die regelmäßig. Ohne den Leser an ein Thema heranzuführen wird oft viel zu viel vorausgesetzt, sich nicht in den Leser hineinversetzt. Wer sich dann nicht ständig in der deutschen Blogosphäre bewegt ist oft ziemlich schnell aufgeschmissen. Dieses für viele von außen insiderisch Wirkende ist abschreckend. Zu recht. Und das ist nur ein Aspekt der oft in dt. blogs zelebrierten Unleserlichkeit.

    Aber das ist hier jetzt ziemlich OT und sollte an anderer Stelle mal diskutiert werden. :)

  6. Manueller Trackback:
    […] Marcel Weiss vom Upload Magazin schreibt über die Kommerzialisierung von Blogs und mögliche Folgen. Und das klingt in Teilen schon ziemlich bitter. Deshalb sage ich: Entschuldigung. Denn ich bin einer der PR-Leute, die Blogs als PR-Konzept zum Kunden tragen und damit ein Teil der Bewegung, die die Weblogszene gerade verändert. […]

  7. Komisch, das empfinde ich genau anders herum.
    Langsam geht vielen auf, dass eben diese „Werbeexperimente“ – da nehme ich mich nicht aus – nicht funktionieren, man vom Bloggen in den allerseltensten Fällen Leben kann – trotz Google ;). Da hören viele auf oder kehren zurück zu dem, womit sie einst gestartet sind: Bloggen um des Schreibens willen.

  8. Da ich mich – was Bloggen anbelangt – noch zu den Newbies zähle, kann ich mir vielleicht eine Außenansicht erlauben…

    Ich denke, der Grundfehler besteht im Schwarz-Weiss-Denken. Da gibt es die „Guten“, die aus Überzeugung und innererer Motivation heraus ihre Zeit in Blogs investieren. Und auf der anderen Seite die „Bösen“, welche dem Kommerz verfallen sind und jede Nacht 1:00 Uhr per Webalizer den Traffic und anschließend die Kontoauszüge kontrollieren.

    Meiner Meinung nach übersieht man bei einer derartigen Betrachtungsweise die breite Palette an Grautönen, die es in der derzeitigen Blogwelt gibt. Deren Bandbreite eben vom einem bis zum anderen Extrem reicht.

    Solange der Schreibende kein Kunstprodukt des Kommerzes (also ein Fake) ist, finde ich alle diese Nuancen legitim. Ich habe jedoch Verständnis dafür, dass sich die Urgesteine der Szene unwohl fühlen, wenn sie eine Veränderung des Klimas feststellen müssen.

    Nur: Wer (wie ich) seit 1990 per Kupferdraht Online-Aktivität er- und gelebt hat, der weiß, dass nichts so beständig ist, wie die permanente Veränderung.

    Deshalb kann ich nur etwas mehr Gelassenheit beim Umgang mit Veränderungen innerhalb der Blogger-Szene anraten…

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